Heute erhielt ich eine Mail eines Kollegen, in der er berichtete, daß er seinen Prozeß vor dem Sozialgericht Berlin gewonnen hätte. Worum ging es da?
Um die Frage, welchen sozialrechtlichen Status ein Synchronschauspieler hat. Es steht hier die Auswahl zwischen selbstständig und unständig zur Verfügung. Selbstständig brauche ich ja wohl nicht zu erklären. Bei der Unständigkeit werden alle Sozialabgaben außer der Arbeitslosenversicherung von der Gage abgezogen und an die jeweiligen Stellen geleitet, auch wenn ein Synchronschauspieler im Steuerrecht als selbstständiger behandelt wird. Das ist auch ganz klar in § 7 SGB 4 festgelegt.
Und nicht nur das. Wir wären nicht in Deutschland, hätte es darüber nicht schon Rechtsstreitigkeiten gegeben. Das ganze Thema wurde nämlich schon mehrfach von diversen Gerichten behandelt. Unter anderem auch vom Landessozialgericht Hamburg im Jahr 1994. Dort wurde entschieden, daß ein Synchronschauspieler unständig beschäftigt ist. Eine Revision vor dem Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen, da das Urteil nicht von der gängigen Rechtsprechung eben dieses BSGs abweiche. Mal nebenbei: Damals dauerte das Verfahren durch alle Instanzen 4 Jahre. Das war zwar auch nicht gerade Lichtgeschwindigkeit, im Vergleich zu heute allerdings ein nahezu paradiesischer Zustand.
Nun könnte man ja meinen, damit hätte sich die Sache erledigt. Aber weit gefehlt. Im Jahr 2005 kamen diverse „Sachverständige“ wie die DRV Bund, die Bundesagentur für Arbeit und ein paar Krankenkassen auf die seltsame Idee das SGB 4 wieder anders zu interpretieren, und Synchronschauspieler als selbstständig zu definieren. Und das, obwohl die DRV-Bund (die damals noch BFA hieß) im Jahr 2000 eine mehrstündige Informationsveranstaltung organisiert hatte, in der sie das genaue Gegenteil predigte.
Nun gut, soweit zur Vergangenheit. Natürlich gab es viel Aufregung um diese „Neuinterpretation“, und es wurde auf abenteuerlichen Umwegen geklagt. Dazu mußte der Festlegung der Krankenkasse auf selbstständig widersprochen werden, damit der Widerspruch abgelehnt wurde. Danach erst konnte der Kollege Klage beim Sozialgericht einreichen.
Am 21.03.2012 war es nun soweit, und das Sozialgericht Berlin verhandelte die Klage. Wie ich anfangs schon erwähnte: Der Kollege hat gewonnen. Der Anwalt berichtete von einer langen Beweisaufnahme bei der sich das Gericht sehr für die Details interessiert hätte. Das ist zwar nett, aber das hätten sie einfacher haben können, indem sie das Urteil des LSG Hamburg gelesen hätten.
Das wird aber nicht das Ende sein. Natürlich wird die Gegenseite Berufung einlegen und bei der derzeitigen „Überlastung“ der Gerichte ist frühestens 2015 mit einer Verhandlung vor dem Landessozialgericht zu rechnen. Sollte dort eine Revision zugelassen werden, kann man mit einem Termin beim Bundessozialgericht so ca. gegen 2018 rechnen. Und das für einen Sachverhalt, der bereits 1994(!) abschließend behandelt wurde.
Selbst wenn dann dieses Verfahren abgeschlossen sein sollte, rechne ich nicht damit, daß die Angelegenheit erledigt ist. Denn jeder Fall ist nur eine „Einzelfallentscheidung“. Stellen wir uns jetzt mal vor, alle meine Kollegen würden nach jedem Auftrag Klage wegen der sozialrechtlichen Beurteilung einreichen. Wir sind in unserer Branche ca. 300 Kollegen (und das ist noch gering geschätzt), die hauptsächlich Filme und Serien synchronisieren. Man hat so im Jahr um die 300 Termine (auch gering geschätzt). Das wären dann 90.000(!) Fälle. Und das jedes Jahr!
Kein Wunder, daß die Gerichte von Personalmangel und Überlastung reden. Zugegeben, für die vielen Fälle, die Harz IV betreffen sind die Politik durch ihre dilettantische Gesetzgebung und die inkompetenten Sachbearbeiter in den Jobcentern verantwortlich. Aber ein großer Teil dieser Überlastung ist hausgemacht.
Wie kann es sein, daß sich eine Institution so einfach über rechtskräftige Urteile hinwegsetzt, und nicht direkt dagegen geklagt werden kann?
Warum stützen sich die Sozialgerichte nicht auf aktuelle Urteile, wenn der Sachverhalt exakt derselbe ist?
Das alles ist an Schwachsinnigkeit nicht zu überbieten!
[UPDATE]Inzwischen gibt es auch ein schriftliches Urteil. Das Beste findet sich am Ende. Zitat:
Zu keiner anderen Beurteilung führt das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände vom 30. September 2005. Die darin verlautbarten „Auslegungs“grundsätze für die versicherungs- rechtliche Beurteilung von Synchronsprecher entsprechen nicht der Sozialgesetzgebung in ihrer sozialgerichtlichen Auslegung. Sie sind deswegen für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne Belang. Das Rundschreiben gibt einleitend vor, sein Zweck sei es, Un- sicherheiten bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Synchronsprecher zu beseitigen. Zweifelhaft ist bereits, ob es derartige Unsicherheiten in nennenswertem Umfang ge- geben hat. Tatsächlich hatte die vormals geübte Praxis wohl eher zu verlässlichen Ergebnissen geführt (vgl. das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vom 31. Mai 2007 = Anl. 7 zum klägerischen Schriftsatz vom 30. Juni 2010). Der Kläger hat für die Kammer überzeugend vorgetragen (Schriftsatz vom 30. Juni 2010, Seite 11 bis 25 mit Anlagen 1 bis 7), dass die angeblichen Präzisierungen durch das Rundschreiben eher dadurch motiviert waren, die im Hinblick auf das Beitrags- und Meldeverfahren „lästige“ Figur des unständig Beschäftigten zurückzudrängen. Unabhängig hiervon kann den entscheidend aus Judikaten des BFH entwickelten Abgrenzungskriterien in der Sache nicht gefolgt werden. Denn die finanzgerichtlichen Grundsätze lassen sich – wie ausgeführt – nicht auf das Sozialversicherungsrecht übertragen.
Das ist doch eine schallende Ohrfeige für die Damen und Herren „Fachleute“ bei den „Spitzenverbänden“ und der DRV.